Warum überhaupt Tragen?


Hier findest du alle Argumente, die für das Tragen sprechen und viele wichtige Informationen über die physiologische Entwicklung deines Kindes.

Ein Kind will getragen werden

Weitere Vorteile des Tragens

Die richtige Haltung

Die Geschichte des Kindertragens und des Kinderwagens
 


Ein Kind will getragen werden

40 Wochen lang tragen wir unsere Kinder unter unserem Herzen. Sie nehmen pausenlos unseren Herzschlag wahr, sind umhüllt vom Rauschen der großen Gefäße und dem Rhythmus unseres Atems. Sie spüren jeden Schritt und werden durch jede unserer Bewegungen geschaukelt.

Nach der Geburt sollen sie nun plötzlich auf dem Rücken liegen, auf einer kalten Matratze, ohne Bewegung und ohne Berührung. Die meisten Babys sind damit unzufrieden und unglücklich, denn es widerspricht ihrem natürlichen Bedürfnis nahe bei ihrer Mutter zu sein. Diese Nähe gibt ihnen ganz natürlich ein Gefühl von Schutz und Sicherheit. Denn unsere Vorfahren waren Nomaden und ständig in Bewegung. Für ihr Überleben war es sinnvoll und notwendig, ihre Jungen meistens bei sich zu tragen.

Erst seit wenigen Jahrhunderten führen wir Menschen einen Lebensstil, der es uns überhaupt erlaubt, ein Baby gefahrlos abzulegen. Wenige Jahrhunderte reichen jedoch nicht aus, um die Reflexe unserer Kinder einfach auszulöschen. Wird ein kleines Baby also einfach abgelegt, verspürt es ganz reale Angst. Sein Schrei ist ein Kontaktruf und soll sicherstellen, dass es nicht hilflos zurückgelassen wird.

Auch wenn man sich die Anatomie Neugeborener ansieht, lassen viele Faktoren darauf schließen, dass der Mensch von Natur aus ein Tragling ist:

Die sogenannte "Anhock-Spreiz-Haltung", kurz ASH, nehmen Babys etwa bis zum 6. Lebensmonat reflexartig ein, sobald man sie hochhebt. Sie winkeln die Beine so an, daß sich die Knie etwa auf Bauchnabelhöhe befinden und die Oberschenkel im 45° Winkel zueinander stehen. Die ASH ist die perfekte Haltung um auf der Hüfte eines Trägers zu "reiten".

Der gerundete Rücken des Babys passt sich perfekt an den Zustand des getragen werdens an. Die Beugung nach vorne stellt sicher, dass das Kind sich an die Mutter anlehnt und nicht nach hinten fällt.

Der Greifreflex oder Klammerreflex, den bereits Neugeborene zeigen, diente dazu, dass Babys sich an den für sie lebenswichtigen Träger anklammern können.

Die Schienbeine neugeborener Babys sind leicht in sich gekrümmt und strecken sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres zu einem geraden Knochen. Diese Krümmung erleichtert den Babys das Festklammern mit den Beinen. Außerdem beruhigen sich weinende Babys in den meisten Fällen sehr schnell, wenn man sie auf den Arm nimmt. Klinische Studien weisen nach, daß sich z.B. der Herzschlag und die Atemfrequenz schreiender Babys beruhigen, wenn sie getragen werden. Für Kinder erfüllt das Tragen also das Nähebedürfnis und ist zudem eine ideale Basis um das Urvertrauen zu stärken. Sie riechen die vertraute Person, sie hören die Stimme und meist den vertrauten Herzschlag. So werden sie behütet und bewegt in die Welt getragen.

Wie kann man diesem Grundbedürfnis also im Alltag gerecht werden? Ganz einfach: mit einem Tragetuch oder einer geeigneten Tragehilfe. Schließlich leben wir nicht mehr als Nomaden. Das Tragen hat also neben der emotionalen Bindung auch einen sehr praktischen Nutzen: Man gibt seinem Kind die nötige nähe und Geborgenheit und kann dabei trotzdem die Hausarbeit erledigen, denn man hat ja die Hände frei. Auch der Umgang mit einem älteren Geschwisterkind wird erleichtert, wenn man nicht rund um die Uhr das kleine Baby auf dem Arm halten muss. Während das Baby friedlich im Tragetuch schläft, kann man dem älteren Kind besser Aufmerksamkeit schenken. Zudem vermeidet ein richtig gebundenes Tragetuch oder eine Babytrage eine einseitige Belastung der Rücken- oder Armmuskulatur.

  

Weitere Vorteile des Tragens

Nicht alle Kinder zeigen ihr Bedürfnis nach Körperkontakt und den Wunsch getragen zu werden gleich stark. Viele Babys lassen sich problemlos im Kinderwagen transportieren oder in der Wiege und im Kinderbettchen ablegen. Hier einige Gründe, warum es sich trotzdem auszahlt, auch diese Babys häufig zu tragen:

Man weiß, dass Kinder sich mit Körperkontakt besser entwickeln und nutzt dieses Wissen heute medizinisch auch bei Frühgeburten.

​Beim Tragen werden alle Sinne angeregt, da das Kind alle Ereignisse sehr direkt erfährt. Isst die Mutter zum Beispiel einen Apfel, kann das Kind diesen sehen, riechen und auch das Geräusch des Abbeißens hören.

​Die Eigenwahrnehmung des Babys wird gestärkt. Durch die Bewegungen ist das Baby immer neuen Reizen ausgesetzt und lernt so, seine eigenen Gliedmaßen und seine Position im Raum differenzierter wahrzunehmen.

Der Taktile Sinn wird angeregt, denn getragene Babys sind in ständigem Kontakt zu ihrem Träger und spüren ihn die ganze Zeit.

Richtig getragen wird die Hüft- und Wirbelsäulenentwicklung positiv beeinflusst.

Der Gleichgewichtssinn wird stark geschult: ein getragenes Baby macht jede Bewegung des Trägers mit. Es steuert gegen, gleicht aus und übt so, immer im Gleichgewicht zu bleiben.

In ihren Reaktionen können Kinder sich gut am Verhalten ihrer Bezugsperson orientieren, denn sie spüren die Reaktion des Erwachsenen, beispielsweise bei der Begrüßung eines anderen Erwachsenen, sofort deutlich. Diese Orientierungshilfe gibt ihnen Sicherheit.

Viele Babys brauchen Begrenzung, um sich spüren zu können. Das eng anliegende Tuch gibt dem Baby Sicherheit und Geborgenheit. Das ist dem Pucken in einem großen Tuch sehr ähnlich.

Tragen ist artgerecht, denn Babys sind sowohl Säuglinge als auch Traglinge.

Die Wärme und die Bewegungen des Tragens massieren den Bauch des Kindes und helfen bei Bauchkrämpfen und Blähungen.

Tragen ist also eine Art natürlicher, kostenloser Frühförderung und das ganz nebenbei.

 

Die richtige Haltung


Die Anhock-Spreizhaltung

Als Anhock-Spreizhaltung (ASH) bezeichnet man jene Körperhaltung, die ein Neugeborenes automatisch einnimmt, wenn man es hochhebt: Die Beine sind angehockt, die Knie auf Bauchnabelhöhe und die Oberschenkel leicht abgespreizt. Diese Haltung ist optimal dazu geeignet, auf der Hüfte eines Erwachsenen getragen zu werden. Diese natürliche Haltung versuchen wir beim anatomisch korrekten Tragen zu unterstützen und nicht zu verändern.

Zum Zeitpunkt der Geburt sind die Bandscheiben noch nicht voll entwickelt und sind stark durchblutet. Erst mit dem Aufrichten des jeweiligen Abschnittes der Wirbelsäule erhalten sie ihre volle Funktion. Wird der Rücken in dieser sensiblen Zeit gestaucht, kann dies zu Entwicklungsproblemen der Bandscheiben und der noch weichen Wirbelkörper führen.

 

Die Entwicklung des Kinderrückens

In der Zeit vor der Geburt liegt das Baby "eingerollt" im Bauch der Mutter. Wenn es dann auf die Welt kommt, ist der Rücken noch völlig gerundet. In der Fachsprache heißt das "Totalkyphose".

Im Laufe des ersten Lebensjahres richtet sich die Wirbelsäule langsam und Stück für Stück auf. Zuerst richtet sich die Halswirbelsäule auf.

Die sogenannte "Halslordose" ist abgeschlossen, wenn das Baby seinen Kopf selbstständig halten kann.

Die "Brustkyphose", also die Aufrichtung der Brustwirbelsäule, ist vollständig, wenn das Kind frei sitzen kann.

Der letzte Schritt der Wirbelsäulenaufrichtung ist die "Lendenlordose", bei welcher der unterste Teil der Wirbelsäule aufgerichtet wird und die Hüfte leicht nach vorne kippt. Sie ist abgeschlossen, wenn das Kind gelernt hat frei zu laufen.

Während dieses langsamen Prozesses ist es wichtig, daß die Wirbelsäule optimal ge- und unterstützt wird. Ohne in eine Richtung gedrückt oder gezogen zu werden. Eine gut angelegte Tragehilfe ist hier Gold wert: ein Tragetuch passt sich ideal an den Kinderrücken an und stützt genau da, wo es nötig ist - ohne einzuschneiden oder den Rücken gerade zu drücken.

 
Die Aufrichtung der kindlichen Wirbelsäule

Die Entwicklung der kindlichen Hüfte

Auch das Hüftgelenk ist nicht ausgereift wenn ein Baby zur Welt kommt: die Hüftgelenkspfanne umschließt den Oberschenkelkopf erst zu etwa 2/5, beim Erwachsenen sind es 3/5. Da Knochen und Gelenke unter Druck am besten wachsen ist es für die richtige Entwicklung der Hüfte wichtig, dass sie immer wieder in richtigem Maße belastet wird.

In der oben erklärten "ASH" wird der Oberschenkelknochen genau im für die Reifung der Hüfte optimalen Winkel in die Hüftgelenkspfanne gedrückt, wodurch die Reifung bestmöglich unterstützt wird. Im Tuch oder in einer passenden Kindertrage kann das Kind über lange Zeit gut in dieser Haltung sitzen.
 
Anhock Spreiz Haltung und Wirbelsäule

Die Geschichte des Kinder Tragens und des Kinderwagens

Die Geschichte des Tragens ist so lang wie es Menschen gibt. Babys wurden immer und in jeder Kultur der Welt getragen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in England der Kinderwagen erfunden. Im Zeitalter der Industrialisierung galt Kinderreichtum als Armutszeugnis. Das Kind im Wagen von einer Amme oder einem Kindermädchen durch den Park schieben zu lassen war modern und ein Beweiß des eigenen Reichtums. Nach nicht einmal 200 Jahren ist die uralte Kultur des Babytragens bei uns fast in Vergessenheit geraten.

Video: Perspektive des Kindes aus dem Kinderwagen und beim Tragen.
Hast du schonmal darüber nachgedacht, wie sehr sich die Perspektive eines getragenen Kindes von der Kinderwagenperspektive unterscheidet?